Shanghai fern von wo

Im vergangenen Jahr wurde Ursula Krechel für ihren Roman Landgericht mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Ein Stück deutscher Geschichte, das Exil jüdischer und kommunistischer Emmigranten in Shanghai ist das Thema ihres 2008 erschienen Romans, Shanghai fern von wo.

Was kann ein Rechtsanwalt? Nichts! Was eine Hausfrau? Apfelstrudel backen. In der Ferne gelten andere Gesetze. Das Leben erzwingt neue Regeln. Aladar Tausig war österreichisch-ungarischer Rechtsanwalt. Schon mit dem Aufkommen des Faschimus merkte er, dass das Recht nicht mehr Recht war. Im Exil in Shanghai muss er begreifen, dass er nichts kann, was gebraucht wird. Seine Frau, bäckt Apfelstrudel und erfindet nebenbei die Frühlingsrolle.

Mit Franziska Tausig, Lothar Brieger, Ludwig Lazarus und einigen anderen Protagonisten erzählt Krechel von realen Menschen, realen Schicksalen. Das Elend des Exils, die Isolation im Shanghaier Ghetto und die beklemmende Situation der Rückkehrer nach Deutschland, oder der nach Israel oder die USA weiterziehenden Exilanten, erzählt Krechel auf eindringliche Weise. Das Scheitern und Wiederaufstehen, Resignation, Hoffnung und Tod sind gegenwärtig.

Geschichten müssen erzählt werden. Geschichte muss erzählt werden. Shanghai fern von wo ist keine leichte Lektüre für Zwischendurch. Das Buch ist ein Stück erzählte Zeitgeschichte.

In der untergehenden Welt

Der schlägt sich an die Brust
Der schafft Gold fort an heimliche Orte
Fast alle suchen noch Lust
Auch ich – doch such ich auch noch Worte

In der untergehenden Welt
Wohin können Worte gehen?
Wenn sie in Flammen zerfällt,
Wer soll das Lied verstehen?

Aber wenn es doch nicht geschieht,
Dann werden einige lang
Lachen über mein Lied
vom Weltuntergang.

Erich Fried, Um Klarheit. Gedichte gegen das Vergessen

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… den Weltuntergang des vergangenen Jahres haben wir weitgegend gut überstanden. Doch der nächste kommt bestimmt.

Schummeln bis das Ego wackelt…

„Im Grunde schummeln wir bis zu dem Punkt, der es uns erlaubt, das Selbstbild eines einigermaßen ehrlichen Menschen zu bewahren.“, meint der Sozialwissenschaftler Dan Ariely in „Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge: Wie wir andere täuschen – und uns selbst am meisten“.

Eine erfrischende Rezension, die Lust darauf macht, das Buch zu lesen, habe ich heute morgen in Simone Jansons Berufebilderblog gelesen.

In der Beziehung zu anderen Menschen kommt neben dem Selbstbild, dem ich gerne positiv in die Augen blicke, noch ins Spiel, dass wenn zwei das selbe sehen, sie noch längst nicht das Gleiche erleben.

Eine Binsenweisheit? Mag sein. Viele Missverständisse, mangelndes Vertrauen und Ärger entsteht dennoch, wenn unser Blick auf das „Offensichtliche“ fällt.