Statt eines Leitartikels…

Anpassung an unsere Grundwerte erforderlich

Eine Invasion des Ressentiments überschwappt Deutschland, die demokratische Grundwerte zu Boden tritt. Ohne Zweifel ist es unsere Aufgabe, die Sorgen von Menschen ernst zu nehmen, die ihre kleine heile Welt bedroht sehen. Aber es ist ungemein schwer, diese von den Menschen zu unterscheiden, die von Rassismus getrieben sind oder denen es nur um Hetze und Gewalt geht.

Wenn man die aktuellen Äußerungen vermeintlich besorgter Bürger wahrnimmt, dann ist nicht zu übersehen, dass viele etwas in die Jahre und meist zu etwas Ansehen und Wohlstand gekommene Männer als Sprecher des Volkes auf die Straßen gehen, weil sie hier ein willfähriges Publikum für ihre Frustration vorfinden oder das zumindest glauben.

Sicher brauchen wir angesichts des Bildungsnotstandes gerade heute engagierte, gut ausgebildete Pädagogen, die auch in Zukunft mithelfen unser demokratisches und solidarisches Miteinander zu gestalten. Die selbsternannten „Verteidiger des Abendlandes“ haben in der Vergangenheit allerdings nicht gerade bewiesen, dass sie im Umgang mit Andersdenkenden die Werte respektieren, die zu schützen sie vorgeben.

Viele ihrer Sprecher bekennen nicht, wes Geistes Kind sie sind, und sie kommen nicht mit den ehrlichsten Absichten. Vergleicht man diese mit unseren ethisch-moralischen Vorstellungen, dann werden verfassungsmäßige Grundsätze unserer Gesellschaft wie die Würde des Menschen oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht gerade angemessen berücksichtigt.

Es ist leider nicht selten, dass diese oft eingebildeten Männer ein gestörtes Verhältnis zu ihrer eigenen Sexualität haben. Vor dem Hintergrund ihrer Vorstellungen von der Rolle der Frau in ihrer spießbürgerlichen Kultur bleibt die Frage, wie sie, ohne mit den freiheitlichen Werten unserer Gesellschaft in Konflikt zu geraten, ihre Verklemmungen für sich behalten und die bunte Vielfalt von Partnerschaften in Deutschland ertragen können.

Mit einer undifferenzierten Toleranzkultur können wir diese Probleme nicht lösen und es gibt viele Frauen und Männer, die als Eltern heranwachsender Kinder die nahezu ungehemmten Ressentiments mit sehr vielen Sorgen betrachten. Schon jetzt hört man aus vielen Orten in Gesprächen mit Bekannten, das es zu verbalen Entgleisungen im täglichen Leben, sogar in öffentlichen Einrichtungen und Schulen kommt.

Auch als verantwortungsbewusster Mitbürger stelle ich mir die Frage: Wie können unsere Kinder so aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches geistiges Abenteuer mit vermeintlich einfachen Antworten von Brandstiftern einlassen, die vorgeben, Werte zu vermitteln?

Auf „Spiegel online“ bemerkt Sibylle Berg am 07.11.2015 treffend: „Ab und zu wird mir von älteren Herren berichtet, die nur bei der Nennung meines Namens angeblich rot anlaufen und sich danach in minutenlangen Hass- und Gewaltausbrüchen verlieren. Süß. Wenn die mich sehen könnten, im Pyjama am Computer, junge Katzen essend! Was sie da hassen, ist ihre Unfähigkeit, Entwicklungen gelassen zu beobachten.“

Ja, wir brauchen Grundwerte: Werte, die es wert sind, unser Zusammenleben zu begründen. Das kann durch kein Gesetz erzwungen werden. Unsere Grundwerte werden erst in gegenseitiger Wertschätzung und Solidarität lebendig.

Es kann nicht sein, dass frustrierte Spießbürger verlangen, dass in unseren Schulen ihre Ressentiments vermittelt und ausgelebt werden können. Hinzu kommt noch, dass in sozialen Brennpunktschulen mit bersorgtbürgerlichem Lehreranteil, Menschen, die auf unsere Solidarität angewiesen sind, beschimpft und sogar gedemütigt werden. Wir müssen unmissverständlich klarmachen, dass diejenigen, die hier unterrichten, unsere Grundwerte zu vertreten haben und nicht umgekehrt wir ihre Ressentiments

Beim Vermitteln westlicher Werte könnten Pädagogen wichtige Arbeit im Sinne einer wirklichen Integration von Menschen in unsere Gesellschaft leisten: Vielfalt, Toleranz, lebendige Wertschätzung zu lehren, ohne Differenzen und Probleme zu leugnen. Es gilt Brücken zu bauen und voneinander zu lernen.

Die Fehler aus der Vergangenheit – besonders in den Jahren nach der Wiedervereinigung – wo in einigen Gebieten Parallelgesellschaften mit ungebildeter Deutschtümelei entstanden, deren Anhänger kaum Bereitschaft zeigten, sich ernsthaft in demokratische Diskurse zu integrieren, dürfen sich keinesfalls wiederholen.

Hier tragen wir alle die Verantwortung. Schwarz-Braun-Malerei ist eine Gefahr!

Shanghai fern von wo

Im vergangenen Jahr wurde Ursula Krechel für ihren Roman Landgericht mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Ein Stück deutscher Geschichte, das Exil jüdischer und kommunistischer Emmigranten in Shanghai ist das Thema ihres 2008 erschienen Romans, Shanghai fern von wo.

Was kann ein Rechtsanwalt? Nichts! Was eine Hausfrau? Apfelstrudel backen. In der Ferne gelten andere Gesetze. Das Leben erzwingt neue Regeln. Aladar Tausig war österreichisch-ungarischer Rechtsanwalt. Schon mit dem Aufkommen des Faschimus merkte er, dass das Recht nicht mehr Recht war. Im Exil in Shanghai muss er begreifen, dass er nichts kann, was gebraucht wird. Seine Frau, bäckt Apfelstrudel und erfindet nebenbei die Frühlingsrolle.

Mit Franziska Tausig, Lothar Brieger, Ludwig Lazarus und einigen anderen Protagonisten erzählt Krechel von realen Menschen, realen Schicksalen. Das Elend des Exils, die Isolation im Shanghaier Ghetto und die beklemmende Situation der Rückkehrer nach Deutschland, oder der nach Israel oder die USA weiterziehenden Exilanten, erzählt Krechel auf eindringliche Weise. Das Scheitern und Wiederaufstehen, Resignation, Hoffnung und Tod sind gegenwärtig.

Geschichten müssen erzählt werden. Geschichte muss erzählt werden. Shanghai fern von wo ist keine leichte Lektüre für Zwischendurch. Das Buch ist ein Stück erzählte Zeitgeschichte.